Roger Ver ist eine bekannte Persönlichkeit in der Kryptoszene. Der Mann war einer der ersten Investoren in Bitcoin, Kryptostartups wie Kraken betreibt die Seite bitcoin.com und er ist die lauteste Stimme der Bitcoin Cash Werbung. Bevor er die Werbetrommel für Bitcoin Cash (BCC oder BCH) rührte, tat er das für Bitcoin. Das machte er so vehement, dass er als „Bitcoin Jesus“ bekannt wurde. Das führte auch dazu, dass er in Bitcoin Kreisen nach dem BCash-Fork als „Bitcoin Judas“ verspottet wurde.

12 BCH statt der Silberlinge

Bitcoin Cash ist das Ergebnis eines Bitcoin Hardforks der im August 2017 statt fand. Im Gegensatz zur SegWit BIP in Bitcoin, lagert Bitcoin Cash die Witness-Daten nicht aus sondern erhöt die Blockgröße auf 8 MB. Das bedeutet im Gegensatz zu Bitcoin mit Segwit ca. eine Verdoppelung der Menge an Transaktionen pro Block.

Der Verrat, den einige Leute im Fork sahen, lag darin, dass eine einmalige Blockgrößenänderung nichts am zugrunde liegenden Problem änderte und er dennoch diesen Fork durchpeitschte. Es verschiebt nur die Zeit bis das Problem das nächste mal auftritt und bläst die Blockchain weiter auf.

Ich persönlich bin auf Ver nicht durch Bitcoin gestoßen, da mich die Werbetrommel rund um Bitcoin Cash nicht interessiert, sondern durch einen Rubin-Podcast.

Abseits der Hard-Fork-Geschichte, ist Ver aus zwei Gründen für mich interessant:

  1. Er ist erfolgreicher Unternehmer, Häftling und wieder erfolgreicher Unternehmer gewesen bevor er Bitcoin gekauft hat.
  2. Seine philosophische Grundlage ist Anarcho-Kapitalismus.

Er bezieht seine libertäre Position vom Buch Die Gemeinwirtschaft: Untersuchungen über den Sozialismus von Ludwig von Mises. Günstiger ist es entweder online vom Mises-Institut als Scan der zweiten Auflage als PDF oder in Englisch als Socialism: an Economic and Sociological Analysis verfügbar. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, aber nach dem ich bei der Recherche über den Zeit-Artikel Der gefährlich Staat gestolpert bin, werde ich mir eine günstige Ausgabe sichern. Im Artikel wird Mises-Kritik auf folgende Punkte zusammen gefasst:

  • Inflation im Geldsystem hat negative Auswirkungen auf die Warenwirtschaft
  • Staatlicher Eingriff – jeglicher Art – in die Wirtschaft ist negativ auf die Entwicklung der Gesellschaft.

Mich hat das frapierend an die libertären Anarcho-Kapitalisten bzw. Anarchismus generell erinnert.

Anarchisten – Das sind die Bombenwerfer, oder?

Das Wesen der Staatstätigkeit ist, Menschen durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu zwingen, sich anders zu verhalten, als sie sich aus freiem Antriebe verhalten würden.

— Ludwig von Mises

Als Jugendlicher ging ich gerne auf Punk-Konzerten und trank auch das eine oder andere Bier mit meinen Punk-Freunden. In der Punkszene kennt jeder das Anarchismus-Symbol mit dem A im Kreis. Leider sieht man es auch immer mal wieder auf Häuserwände geschmiert.

Als ich gerade anfing aus dieser Jugendszene heraus zu altern, begann ich mich mit den philosophischen Grundlagen zu beschäftigen. Unbefriedigt vom Informationsangebot auf anarchismus.at und anarchismus.de und mit mehr offenen als beantworteten Fragen, stürzte ich mich auf das Buch Anarchie! von Horst Stowasser. In diesem Buch arbeitet er die Idee hinter den verschiedenen anarchistischen und libertären Strömungen auf und versucht diese mit historischen Beispielen in Zusammenhang zu bringen.

Die Grundlage hinter einer anarchistischen Gesellschaft ist die Loslösung von zentralisierter Herrschaft. Es soll keinen Staat mehr geben, der im schlimmsten Fall mit Gewalt die Einhaltung von Gesetzen erzwingt. Ob es dabei um Verkehrsregeln, Zwangsverpflichtung zum Wehrdienst oder Steuern geht spielt keine Rolle.

Alles soll dezentral organisiert werden. Anstatt Autorität soll Kompetenz und die Gemeinschaft, aber nicht unbedingt basisdemokratisch, entscheiden. Die Grundidee ist, dass ein Mensch frei von Zwängen durch Dritte sein soll. Dieser Fokus auf die sg. negative Freiheit („Freiheit von„), ist in der Philosophie als Libertarismus bekannt.

Kryptoanarchismus – Selbstbestimmung durch Privatheit

Das digitale Gegenstück zu den Punks mit denen ich Bier trank, nennt sich Cypherpunks. Cypherpunk ist ein Kunstwort das sich aus Cipher für Verschlüsselung und Punk zusammensetzt. Beide Punk-Spielarten haben die Ablehnung gegen den Staat gemeinsam. Wobei ich den Cypherpunks überproportional mehr Reflektion und Intellekt unterstelle.

In den späten 80ern wurde das Kryptoanarchistenmanifesto geschrieben. Das Dokument dreht sich um die technischen Möglichkeiten libertäre Ideale gegen staatliche Kontrolle abzusichern. Durch Verschlüsselung und Anonymisierung soll es möglich werden, frei von staatlicher Kontrolle, Informationen und Waren auszutauschen um so zu einer neuen Gesellschaftsordnung zu kommen.

Das Darknet, das auf TOR und damit ironischerweise auf einer Erfindung von staatlichen Organisationen beruht, ist eine Manifestation dieser Ideale. Völlig losgelöst von staatlicher Kontrolle wird dort so ziemlich alles gehandelt und getauscht, mit dem gesetzestreue Bürger aber auch Kriminelle, handeln bzw. tauschen wollen.

Das gilt auch für den Austausch von Informationen. Egal wie man zu den Geschichten rund um Julian Assange, Edward Snowden, Bradley Manning oder generell WikiLeaks steht, Fakt ist, dass einige Dinge aufgedeckt wurden die sowohl völkerrechtlich wie auch nach nationalem Recht illegal waren und Kompetenzübertretungen von grotesk großem Ausmaß waren. Ist es defakto sowohl schlüssig die Protagonisten als Staatsverräter sowie als Akteure der Regulierung der Übertretungen zu sehen.

Anarcho-Kapitalismus – wer handelt, hat recht

Anarcho-Kapitalismus ist die Idee, dass eine Gesellschaft in einem freien Markt ohne jegliche staatliche Regelungen auskommt. Die einzige Grundregel die jeder implizit akzeptieren muss ist, dass die Freiheit eines anderen Menschen unantastbar ist. Dementsprechend darf nichts mit Gewalt erzwungen werden. Die Autorin Ayn Rand hat mit ihrem Buch Atlas Shrugged dem ungezügelten Kapitalismus einen 1200 Seiten starken Liebensbreif geschrieben. Sie wuchs in Russland auf und erlebte hautnah mit, wie Kommunismus ihrer Familie sämtlichen Eigentum kostete und sie ins Ausland zwang.

Das Buch dreht sich darum, dass bösartige, bis auf’s Mark von nihilistischem Zerstörungswut zerfressene Bürokraten, mit ihren „sozialen“ Gesetzen die Nation in den Abgrund stoßen. Zum Glück können die sich vom Staat absetzenden Kapitalisten, die Protagonisten des Romans, das Ruder herum reißen und die Nation und damit auch die Seelen der Bürger retten. Insgesamt sind die Protagonisten kapitalistische Übermenschen die mit ihrem Willen und ihrer Schaffenskraft für Ordnung und Wohlstand in der Gesellschaft sorgen. Nicht zu Unrecht wurde deshalb in der Vorlesung „Maps of Meaning“ (Siebente Folge mit Gregg Hurwitz) von Jordan Peterson Atlas Shrugged als Propagandawerk betitelt. Als Österreicher bin ich einen Sozialstaat gewohnt der halbwegs brauchbar funktioniert. Rand hat mit ihrem Buch Artikulationen für Verhältnisse gefunden, die es mir jetzt erlauben, bestimmte negative Wahrnehmungen meines Staats und dessen Politik endlich auch bennen zu können. Eine differentierte Kritik des Buches von mir, habe ich hier auf meinem Tumblelog auf Soup.io gepostet. Insgesamt kann ich jedem nur empfehlen Rands Magnus Opus „Atlas Shrugged“ zu lesen.

…​ langweilig! Was hat das mit Bitcoin zu tun?

Bitcoin ist eine Währung wie sie sich Mises gewünscht hätte:

  • Ohne staatlich Kontrolle
  • Dezentral und resilient gegen staatliche Kontrolle
  • Es gibt eine Obergrenze an Tokens was sie schlussendlich deflationär macht. (Auch wenn sie aktuell noch inflationär ist.)

Friedrich von Hayek würde dem vermutlich zustimmen. In seinem wortreichen Werken rund um das Thema, die als gesammeltes Werk erhältlich sind, forderte er einen Wettbewerb solcher Währungen. Der Staat hätte in diesen Dingen nichts verloren. Hayek war auch der Meinung, dass ein Markt dazu in der Lage ist Ideen im Wettstreit der Konkurrenten entstehen zu lassen. Er ist daher ein Mittel zur Wertschöpfung. Ohne den Markt, so Hayek, wäre es nicht möglich bestimmte Ansätze und Lösungen auszuarbeiten. In diesem Sinne ist die Kryptoszene gut aufgestellt, da viele Hundert Währungen um Aufmerksamkeit und Geld wetteifern.

Roger Ver halte ich für einen falschen Propheten. Jemandem den ich als rechtmäßigen und ehrlichen Evangelisten von Bitcoin sehe ist Andreas Antonopoulos. Er hat in einem Vortrag „Worse than useless“ während der Baltic Honeybadger 2017 Konferenz ein hervorragendes Plädoyer für privatisierte Währungen gehalten. Sein Teil beginnt bei ca. 1h 44m.

Damit passt Bitcoin in ein libertäres System wie das letzte Randstück des 1000 Stück Puzzles mit all seinen Facetten, sei es absolute Freiheit von Banken oder unreguliertem Treiben inklusive Insider-Trading. Ob einem das Bild genauso gut gefällt wie dem BCash-Guy Ver muss allerdings jeder für sich selbst entscheiden.

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